Cap de Creus – wilde Felsen, tintenfassblaues Mittelmeer, Tramuntana …
Hier, wo die Pyrenäen ins Mittelmeer tauchen – am östlichsten Punkt der iberischen Halbinsel – nahe bei Cadaqués findet man am Cap de Creus imposante Felsskulpturen, peitscht der Tramuntana und glitzert das Wellenspiel. Im Moment ist alles ruhig. Es geht nur eine leichte Brise. Der Tramuntana macht eine kurze Pause. Er schöpft Atem für seine nächste Attacke. Der Himmel über uns verspricht schon neuen Sturm. Weiße Wölkchen gefedert vom Wind. Bald wird der Tramuntana aus den Bergen kommend mit heftigen Böen wieder übers Land blasen. Dann ziehen die Wolken von den Pyrenäen schnell heran, treiben über die Felsen des Cap de Creus dem Mittelmeer entgegen.
Parc Natural Cap de Creus wasser- und landseitig unter Schutz gestellt
Die bizarre, spärlich bewachsene Landschaft der Halbinsel, seit wenigen Jahren als Parc Natural Cap de Creus wasser- und landseitig unter Schutz gestellt, ist von wilder Schönheit. Ihre Küsten stürzen von kleineren Strandbuchten unterbrochen steil ins Meer hinab. Hier tauchen die östlichsten Pyrenäenausläufer unter die Meeresoberfläche und setzen sich in dramatischen Steilwänden und Stufen fort bis auf den Sand des Meeresbodens in 40 bis 50m Tiefe.
Cap de Creus gilt als Tauchgebiet par excellence. Hier findet man unter Wasser eine Fauna, die im westlichen Mittelmeer ihresgleichen sucht. Rote Edelkorallen und farbige Gorgonien siedeln zahlreich an den Felsuntergründen. Muränen, Conger und Kraken sind ebenfalls präsent. Langusten leben bevorzugt in den tieferen Etagen der Felsenriffe und sind selten zu verfehlen. Ihre Fühler ragen unübersehbar aus dem löchrigen Fels. Die Zackenbarsche dagegen geben sich etwas zurückhaltend.
Seltene Vögel
Eine beträchtliche Anzahl vom Aussterben bedrohter Raub- und Seevögel lebt an Land in den Felsen des Cap de Creus. U.a. nisten hier noch Gelb- und Schwarzschnabelsturmtaucher, Alpen- und Fahlsegler, Wanderfalke, Habichtadler, Trauer- und Mittelmeersteinschmätzer, Blaumerle, Felsen- und Rötelschwalbe, Zippammer und verschiedene Grasmückenarten. Von Februar bis Mai sowie im September und November kann man zudem den Vogelzug beobachten. Dann wurden auch schon Flamingos gesichtet.
Die Felsen des Cap de Creus
Die Farbpalette der Granit- und Schieferfelsen reicht von honiggelb über blaugrau bis hin zu rostrot. Gerahmt von stahlblauem Himmel und tintenfassblauem Meer ergießt sich diese Kulisse wie ein Dalígemälde. Die Felsen des Cap de Creus schmelzen ins Meer wie seine Taschenuhren die Zeit vertropfen.
„Alle Felsen des Cap de Creus befinden sich in unaufhörlicher Metamorphose“, schreibt Dalí. Alles „ist eine Suggestion, die es erlaubt, sich spontan einen Adler, ein Kamel, einen Hahn, einen Löwen, eine Frau vorzustellen. Ich bin überzeugt, dass ich den lebendigen Kern dieser Landschaft verkörpere.“
Die Felsen rund um Cap de Creus prägten Dalís Werk, waren ihm Inspiration und Heimat zugleich. Dalí liebte die felsenen Skulpturen des Kaps als »grandioses geologisches Delirium« aus denen er sein Dalírium schuf. Er bezeichnete sich selbst zu weilen als Inkarnation des Cap de Creus.
Auch wir erliegen heute der bizarren Formensprache dieser Felsenwelt, gemeißelt vom Bildhauer Natur mit den Werkzeugen Tramuntana, Sonne und Meerwasser. Ein Spektakel der Fantasie. Wenn man sich darauf einlässt, entdeckt man gleich Dalís Tierskulpturen, Fabelwesen, Monster, menschliche Gesichter … Der Surrealismus scheint real geworden. Auch im Detail. Viele kleinere Steine mit bizarren Zacken und fließenden Linien sind spektakulär angefressen, ausgespült und angenagt vom Zahn der Zeit und der Erosion durch Wasser und Wind. Der Fantasie der Interpretation ist keine Grenze gesetzt. Je nach Stimmung und Lichteinfall reicht das Felsspektakel für Albtraumlandschaften oder Märchenwelten.
Expressiv und gewaltig ragt der Stein überall in den Himmel. Man kann und will sich dieser Magie nicht entziehen.
Imagination und Vision
So wie einst Salvador Dalí inspiriert »Doppelbilder« schuf, dient auch uns das Sichtbare als Ausgangspunkt für Imagination und Vision. Die Landschaft fordert förmlich heraus zu dem alten Kinderspiel „Ich sehe was, was du nicht siehst.“
Die phantastischen Gestalten, die dem Stein je nach Lichteinfall und Ansicht entspringen, können genauso unseren Blick narren wie Dalís Bild von 1938 “Das endlose Rätsel“. Ein halbes Männergesicht oder eine ganze Frauenfigur, ein Schiffsrumpf oder ein Stück Hund, der zugleich ein Stück Felsenküste ist? Wer weiß. In der Kunst gibt es viele Bilder, deren Lesbarkeit sich nicht eindeutig festlegen lässt und die sich nicht auf den ersten Blick erschließen. Dalí war ein Meister darin. Wen wundert es. Schließlich lebte und arbeitete er die meiste Zeit zwischen den „Doppelbildern“ dieser Felskulisse.
Das Restaurant Cap de Creus
Am östlichsten Punkt Spaniens betreibt der Engländer Chris seit ein paar Jahren das Restaurant Cap de Creus (Tel. 972 19 90 05). Hier kann man auf der Panoramaterrasse mit atemberaubendem Blick über Meer und Felsen einen Imbiss nehmen. Vor allem bei Sonnenauf- und -untergang hat man eine phantastische Sicht auf die zerklüftete golden-rosa gefärbte Küste. Wenn man Glück hat, ist vielleicht auch eines der drei Apartments mit Aussicht für die Nacht frei. Besser aber rechtzeitig reservieren!