Normalerweise sind es die Orte, die ihre Mauern und Häuser, Kirchen und Klöster hervorbringen – mit San Juan de las Abadesas verhält es sich genau andersherum. So urig das am Fuße der Pyrenäen gelegene, mittelalterliche Nest mit seinen steinernen Fassaden, herrschaftlichen Gutshäusern und dem plätschernden Springbrunnen inmitten eines grünen Parks auch wirken mag – es ist der aus dem 12. Jahrhundert stammende, monumentale Klosterbau im Herzen des Dorfes, der dem Ort Leben einhauchte und ihm seinen Namen lieh. Was für ein Geheimnis verbirgt sich also hinter den schweren Holztüren, dem die Menschen eine solche Bedeutung beimaßen? Auf den ersten Blick mutet San Juan de las Abadesas mit seiner schlichten Eleganz weniger erdrückend an als andere Klosterbauten. Gerippen ähnlich wachsen schmale Steinsäulen in die Höhe, Kletterpflanzen umspinnen sie, im Kreuzgang bietet sich der Blick auf einen kleinen Springbrunnen dar. Die Luft, die das Kloster umweht, schmeckt nach vergangenen Zeiten und man glaubt sie augenblicklich vor sich zu sehen, jene Nonnen und Äbte, die jahrhundertelang über diesen Ort wachten.
Tastet man sich schließlich weiter in das Innere des Klosters vor, wird man von einer tintigen Dunkelheit umfangen. Vereinzelte Kerzen malen ihr Flackern an die kühlen Steinwände und erhellen die wehmütigen Gesichter der Heiligenstatuen, die auf die Besucher herabblicken. Es ist ein Ort der Ehrfurcht und Schwere, an dem Fetzen von Weihrauchduft in der Luft hängen wie die Geister vergangener Zeiten. Tatsächlich sind die Veränderungen, die San Juan de las Abadesas im Laufe der Jahre formten, überall spürbar – der elfenbeinfarbene, verspielt verzierte Altar hebt sich strahlend von dem Rest des Klosters ab, mal schmücken goldene Fresken, mal exotische Tiermotive die Wände, am andere Ende des Gewölbes wird der Blick auf die Santíssimi Misteri gewährt, jene aus dem Jahre 1251 stammende Holzschnitzerei der Kreuzabnahme, die so real wirkt, dass man auf ein Blinzeln der Figuren wartet. Es sind die Spuren sowohl französischer als auch orientalischer und arabischer Architektur und Kunst, auf die man hier stößt und die San Juan de las Abadesas seinen mannigfaltigen Touch verleihen – kein Wunder, bei den vielen unterschiedlichen Besitzern, in deren Hand es sich schon befand.
Um 880 gründete der damalige Graf von Barcelona das Kloster, in den darauffolgenden Jahren diente es den Töchtern der reichsten Familien des Landes als Wohnsitz – gleichzeitig begann damit auch die Besiedlung des unberührten Tales. Nach und nach webte sich ein Ort um das mächtige Bauwerk, dem sogleich auch derselbe Name verliehen wurde. Nachdem um 1000 die leitende Äbtissin abgesetzt wurde, wanderte das Kloster durch unzählige verschiedene Hände, von denen jede einzelne ihre Fingerabdrücke hinterließ. Genau diese sind es, die den Ort heute zu einem so sehenswerten machen – man fühlt sich nach der Besichtigung, als habe man soeben gleich mehrere Epochen gleichzeitig durch wandelt. Hat einen die Dunkelheit wieder ausgespuckt, kann man sich entweder auf dem sonnigen Vorplatz niederlassen und Kaffee und Kuchen genießen oder den Streifzug fortführen und noch ein paar Blicke in das nebenan gelegene Museum werfen, das mit seinen goldenen Rosenkränzen und Bergkristall Kruzifixen einer kleinen Schatztruhe ähnelt – hier lassen sich auch die Holzschnitzereien und Steinfresken aus der Nähe betrachten.
Hinkommen:
Plaza de la Abadía Museo s/n
17860 Sant Joan de Les Abadesses
Sant Joan de les Abadesses, Girona (Katalonien)
Wann:
täglich 10.00 Uhr – 14. 00 Uhr und 16.00 – 18.00
Wieviel:
Regulär: 3 Euro
Ermässigt: 2 Euro
Gruppen: 2 Euro
Kinder frei.